Predigt zum Abschied von der Kreuzkirche
aus dem Gottesdienst vom 15.01.2023
kreuzkirche-05
Bilder: Stadtkirchengemeinde Hanau

Liebe Gemeinde,

ebersohn michaeles ist ein ganz besonderer Gottesdienst heute, ein herausragendes Ereignis für die Kreuzkirche, für den Stadtteil und für die Stadtkirchengemeinde. Und gewiss geht das auch an der Stadt Hanau nicht spurlos vorüber. Dieser Gottesdienst markiert ein Ende, denn heute nutzen wir die Kreuzkirche zum letzten Mal als unsere Kirche. Was 1966 mit der Einweihung des damaligen Neubaus begonnen hatte, findet nun einen ...

Nein, es ist eigentlich gar kein Abschluss, kein Ende. Denn obwohl wir die Kreuzkirche und mit ihr auch das Gemeindehaus als Standort der Stadtkirchengemeinde schließen, bleibt uns ganz vieles von dem, was wir hier erlebt und gefeiert haben, erhalten. Wir ziehen nur um. Gruppen und Kreise, Gottesdienste und Aktionen werden eine neue Heimat finden – dazu hören und sehen wir später mehr. So gesehen begehen wir heute nicht einen Abschied, sondern einen Übergang. Denn das, was Kirche ausmacht, ist ja nicht an einen einzelnen konkreten Ort gebunden. Kirche gibt es immer auch ohne Kirchengebäude. Denn Kirche ist vor allem und zuallererst die Gemeinschaft der Menschen, die sich im Glauben verbunden fühlen. »Bevor es Kirchen gab, war schon Kirche. Und wenn es keine Kirchen mehr gäbe, wird immer noch Kirche sein.« So hat das ein Pfarrkollege mal zu einem vergleichbaren Anlass formuliert (Traugott Schächtele, Predigt zur Entwidmung ...).

Theologisch ist das sicherlich richtig. Der Glaube lässt sich an einem Ort wie einer Kirche zwar gut erleben und praktizieren, denn durch die Bauweise, durch die Ausstattung, durch bestimmte Gegenstände hat sie eine besondere Ausstrahlung, die einem Gott näher bringen kann – und soll. Aber nötig im eigentlichen Sinn, dass wir unbedingt in eine Kirche gehen müssten, um Gott zu erfahren, ist sie nicht. Für evangelische Christinnen und Christen ist ein Kirchengebäude kein heiliger Ort. Gott zu begegnen ist grundsätzlich überall möglich, denn im Grunde ist die ganze Welt heilig und ein Ort Gottes. Da könnte man dann sogar behaupten, dass es für uns Evangelische doch nicht so schwer sei, eine Kirche aufzugeben, weil wir sie ja eigentlich gar nicht brauchen.

Aber so ist es nicht. Es tut schon weh, von der Kreuzkirche Abschied zu nehmen, sie als vertrauten Ort aufzugeben, mit dem prägende Erinnerungen und Emotionen verbunden sind. Für viele Menschen ist sie Teil ihrer Lebensgeschichte geworden, und deshalb auch nicht austauschbar. Es verunsichert, wenn dieser Ort nicht mehr zugänglich ist, und es ist eine Herausforderung für das eigene Gefühl, damit klarzukommen. Aber das kennen wir ja auch sonst aus unserem Leben: Veränderungen sind meistens mit Fragen, Verunsicherung und Ängsten verbunden. Was wird werden?

Solche Veränderungen, solche Übergänge, solche Ängste und Fragen sind ein Thema, mit dem die Kirche häufig zu tun hat. Sie begleitet Menschen in den Übergängen des Lebens: Taufe, Heirat, auch Tod und Verlust eines Menschen und andere. Denn sie weiß, dass Gott gerade auch dann seine Hilfe und seinen Beistand anbietet. Die Bibel berichtet an vielen Stellen davon. So kann man etwa im Buch Josua, im Alten Testament lesen: »Wie ich mit Mose gewesen bin, so will ich auch mit dir sein. Ich will dich nicht verlassen noch von dir weichen. Sei getrost und unverzagt.« (Jos 1,5b.6a) Diese Zusage erhält Josua, der als Nachfolger des Mose mit dem Volk Israel ein neues Kapitel in der Geschichte aufschlagen soll. Nun soll er vorangehen und das Volk nach jahrelanger Wanderschaft durch die Wüste ins verheißene Land Israel führen.

Dabei geschehen zwei Dinge: Zum einen richtet sich der Blick zurück auf Moses, der kurz zuvor gestorben war. Er hatte das Volk aus Ägypten befreit, durch die Wüste geführt und ihm die Zehn Gebote als Grundregel des Zusammenlebens gegeben. Jetzt aber wendet sich der Blick nach vorne auf das Land, das Gott verheißen hat, auf den Neubeginn, der gewiss nicht ohne Anstrengung sein wird. Aber er ist eine große Chance. Gerade in dieser Umbruchsituation sagt Gott: »Ich will dich nicht verlassen noch von dir weichen. Sei getrost und unverzagt.«

Wir schauen natürlich auch zurück heute. In 56 Jahren Kreuzkirche – und eigentlich sind es ja sogar fast 69 Jahre, denn die Gemeinde war schon vor dem Bau dieser Kirche gegründet worden –, in diesen vielen Jahren gab es viel, an das man sich erinnert. Da war der Anfang hier im Lamboy, als die ersten Andachten in der Flüchtlingsunterkunft gefeiert wurden und ein erster Kinderhort auf die Beine gestellt wurde. 1954 ist dann die selbstständige Gemeinde gegründet worden, weil immer mehr Menschen hier wohnten. 1965 waren es so viele – gut 8000 –, dass man diese Kirche neu baute – für damals 850.000 Mark.

Aber die Zeiten verändern sich, und immer wieder gehen Entwicklungen auch in die andere Richtung. Da sinken die Zahlen derer, die gerne in die Kirche kommen, und dann muss man sich von Liebgewonnenem auch wieder verabschieden. Doch das geht nicht nur uns in Hanau so. Schon immer wurden Kirchen aufgegeben, wurden anders genutzt oder gar abgerissen. Und auch, dass eine Kirche nicht mehr unterhalten werden kann, dass schlicht das Geld fehlt, kam schon immer vor.

Aber wir schauen heute auch nach vorne. Denn die Kirchengemeinde bleibt ja bestehen, auch im Lamboy. Noch bleiben uns genug Kirchen, die genauso wie die Kreuzkirche ein Ort sein können, an dem man wertvolle und prägende Erfahrungen macht – nur eben etwas andere als hier in der Kreuzkirche. Aber, und das kennen wir ja auch aus unserem Leben: Veränderungen sind zwar oft schmerzhaft, doch Veränderungen werfen uns nur ganz selten wirklich aus der Bahn. In aller Regel gibt es auch nach einem Einschnitt einen Neuanfang, und der bietet neue Chancen und Erfahrungen, mit denen man vorher gar nicht gerechnet hatte.

Und darauf bauen wir: Dass der schmerzliche Abschied von der Kreuzkirche Neues eröffnet, neue Chancen bietet, neue Wege weist, auf denen wir als Stadtkirchengemeinde gehen werden. Denn wir übergeben heute nicht nur einzelne Gegenstände an andere Orte innerhalb unserer Gemeinde, sondern auch all das Engagement, die Zeit, die Kreativität, auch das Geld, die wir an anderen Stellen gut und fruchtbar nutzen werden. Denn auch uns sagt Gott: »Ich will dich nicht verlassen noch von dir weichen. Sei getrost und unverzagt.« Im Vertrauen auf diese Zusage Gottes kann der Neubeginn Energie freisetzen, die zur Freude wird.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.

Amen.

Pfarrer Dr. Michael Ebersohn

16.01.2023 - 16.46 Uhr
6821